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Schwarzes Herz des Internets - Teil 1
Schwarzes Herz des Internets - Teil 1

Ein Netzrechner im US-Staat Virginia lenkt das Internet. Wenn er ausfällt, droht der Kollaps

des globalen elektronischen Handels.

Von Daniel Metzger, Herndon

Der Mythos um die Zentrale des Internets ist aufregender als die Wirklichkeit. Mitten in

einem kühl klimatisierten Raum steht ein knapp mannshoher schwarzer Kasten mit der

Inventarnummer 0033-4402553, und wiese nicht David Holtzman auf seine spezielle Funktion

hin, ginge man achtlos daran vorbei. "Dies ist das Herz des Internets", sagt der Technische

Leiter von Network Solutions Inc. (NSI). Die Kollegen vor den Bildschirmen im Hintergrund

unterbrechen dafür nicht einmal ihre Tätigkeit, ebenso wenig wie der Elektriker vom

Auftragsdienst, der die Deckenlichter mit frischen Leuchtröhren bestückt.
Dabei lenkt die Elektronik des schwarzen Kastens das globale Datennetz. Root Server A nennen

die Fachleute den IBM-Grossrechner in Raum 3026 eines unauffälligen Bürogebäudes im

Washingtoner Vorort Herndon. Das Kernstück seiner Software ist ein unauffälliges digitales

Schriftstück mit eben mal 70 000 Zeichen. Doch erst diese Datei befähigt Internetserver in

der ganzen Welt, sich gegenseitig überhaupt zu finden. Dot-File heisst die Datei im internen

Jargon, abgeleitet vom englischen Begriff für den Punkt in jeder Web-Adresse.

"Zentrales Adressregister"

Wie wichtig die Datei ist, zeigt die Statistik. Bis zu 8000-mal pro Sekunde will irgendein

Netzrechner auf der Welt sie einsehen, 450 Millionen Zugriffe sind es am Tag. Dabei kennt

Root Server A nur einen Bruchteil des gesamten Internets: "Er kontrolliert bloss die ersten

zwei Äste des ganzen Baumes", sagt Holtzman. Das heisst: In der Dot-Datei enthalten sind bis

zu 13 weitere Datenrechner pro Land, die wiederum nationale Listen gespeichert haben. 240

Länderendungen, wie ".ch" für die Schweiz gibt es in der Zwischenzeit, dazu kommen

internationale wie ".com", ".net" und ".org" oder ".edu" für Universitäten und Schulen.
Wählen Benutzer in der Schweiz oder in Australien eine Web-Adresse an, sind sie

möglicherweise für Sekundenbruchteile mit Herndon verbunden. Zuerst wird ihr Aufruf von

einem nationalen Server bearbeitet; findet der den gewünschten Rechner nicht, kommen

übergeordnete Server zum Einsatz. Das kann man sich vorstellen als künstliches Nervensystem,

in dem Signale von feinsten Verästelungen über stets dickere Knoten bis zur richtigen

Gabelung sausen und von dort zum eigentlichen Ziel. "Der ganze Vorgang", sagt Holtzman,

"dauert nur Sekunden."
Mit sechs 450-Megahertz-Prozessoren und acht Gigabytes Arbeitsspeicher ist Root Server A

zwar jedem Heim-PC weit überlegen, aber verglichen mit anderen Hochleistungsservern ist er

nicht einmal besonders leistungsstark. Dafür ist er mit allen vorstellbaren Mitteln gegen

Hackerangriffe geschützt. "Im Durchschnitt", sagt Holtzman, "verzeichnen wir jeden Tag rund

200 Einbruchsversuche." Die stammen mehrheitlich von Jugendlichen und Studenten, denen das

Hacken sportlicher Zeitvertreib ist. Doch es gibt auch politisch motivierte Attacken, je

mehr das Internet zum elektronischen Nervensystem ganzer Industrien wird.
Am liebsten würde man deshalb auch die eigene Anschrift Herndon Parkway 365 verschweigen.

Unauffällig empfängt man Besucher einige Strassenzüge weiter in der dritten Etage eines

Bürohauses, in dem sich auch Zahnärzte und andere Unternehmen eingemietet haben. Am

eigentlichen Hauptgebäude erfassen Drehkameras jede Bewegung, drinnen kommt man ohne

elektronischen Ausweis am Empfangstisch nicht vorbei. Sechs Sicherheitszonen trennen

Unbefugte vom Allerheiligsten, und sollte der Strom ausfallen, stehen zwei Dieselgeneratoren

mit 15 000 Liter Treibstoff bereit. Das genügt, sechs Tage lang Notstrom zu erzeugen. Auch

wird die Adressdatei alle zwölf Stunden auf 13 weitere Rechner in den USA, in Japan und

Europa kopiert. "Für den schlimmsten Fall", sagt Holtzman, "haben wir einen bereits

vollständig ausgerüsteten Zweitrechner bereit."
Seit 1992 verwaltet Network Solutions Inc. (NSI) den Adressserver. Beauftragt wurde die

Firma, die damals ein knappes Dutzend Mitarbeiter hatte, von der US-Wissenschaftsbehörde

NSF. Bis vor kurzer Zeit besetzte das inzwischen auf 1000 Angestellte angewachsene

Unternehmen ein weiteres Monopol: Wer immer eine Web-Adresse mit den Endungen ".com", ".net"

und ".org" wollte, musste sich bei NSI registrieren lassen und Gebühren bezahlen. Neuerdings

dürfen auch andere Anbieter diesen Markt bearbeiten. Doch noch immer sind von zwölf

Millionen Adressen mit der Endung ".com", ".net" oder ".org" mehr als zehn Millionen in

Herndon angemeldet.
Das soll ohnehin erst der Anfang sein. NSI-Vizepräsident Christopher Clough erwartet eine

explosionsartige Zunahme von Internetadressen in den kommenden Jahren. "Alle fünf Sekunden",

sagt er, "wird bei uns ein neuer Domainname registriert." Das summiert sich zu 15 000

Anmeldungen täglich alleine bei NSI. Dazu kommen Millionen von Adressen mit nationalen

Endungen wie ".ch" sowie Anmeldungen bei heute 31 Konkurrenten von NSI; weitere 77

Registrare wollen demnächst ebenfalls Eintragungsdienste für Top-Domainnamen anbieten. Fast

fünf Jahre, bis März 1997, dauerte es, bis die Millionenschwelle bei den registrierten

Adressen erreicht war. Nur drei weitere Jahre waren nötig, um zehn Millionen zu schaffen.

Doch schon nennen Internetanalysten ganz andere Zahlen: Auf bis zu 300 Millionen

Registrationen könnte der Markt anwachsen.
Dazu sind allerdings neue Endungen wie ".shop" für virtuelle Einkaufszentren und ".banc" für

Finanzdienstleister nötig. Die sollen schon im Juni von der Internet-Aufsichtsbehörde ICANN

bewilligt werden und Millionen neuer Namenskombinationen ermöglichen. Ein weiterer Schritt

ist die Einführung von so genanntem Unicode, mit dem Internetadressen auch in arabischen

oder chinesischen Schriftzeichen geschrieben werden könnten. "Das verheisst die Schaffung

riesiger lokaler Märkte", sagt Clough. Und ein glänzendes Geschäft mit Domainregistrationen.

1999 setzte alleine NSI damit mehr als 360 Millionen Franken um. Gewinn: 35 Millionen.

Autor
Geschrieben von Calle | 27.01.2008 um 18:54 Uhr
Tags
Internet  | computer  | www  |
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