Nina | 30.12.2008 11:02 Uhr |
Beitrag Vote |
Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd war die Sklaverei. Der »Sectional Conflict« zwischen den beiden Regionen, der zur Sezession der Südstaaten und zum Bürgerkrieg führte, ist jedoch ohne die wirtschaftsgeographischen, sozialen und kulturellen Unterschiede kaum zu verstehen. Die Sklaverei war das sine qua non des amerikanischen Bürgerkriegs. Gab es darüber hinaus einen grundlegenden Konflikt zwischen der Kultur des Nordens und des Südens? Hatten sich im Antebellum zwei verschiedene Lebensstile und Denkweisen entwickelt? War der Krieg die Folge einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gesellschaftsformen? Muß man die Mason-Dixon-Linie auch als Kulturgrenze verstehen? Historiker wie David Potter haben das bestritten. Nordund Südstaaten pflegten dieselbe Sprache, eine gemeinsame protestantische Religion, demokratische Einrichtungen, den Glauben an Fortschritt und materiellen Erfolg und einen gegen Europa gerichteten, zuweilen recht aggressiven Amerikanismus. Andere verwiesen die Vorstellung von zwei Kulturen ins Reich der Legende. Die beiden Regionen seien sich in wesentlichen Dingen ähnlich gewesen, andere Deutungen beruhten auf einer fiktiven Soziologie. Manche Südstaatler hielten sich sogar für die besseren Amerikaner und glaubten, der ursprünglichen Idee Amerikas getreuer zu leben als die Yankees." Freilich sind die Unterschiede in wichtigen kulturellen Bereichen objektiv unübersehbar, und den Südstaatlern waren diese Unterschiede klar bewußt. »Die Gefühle, Gebräuche, Denkweisen und Erziehungsstile der beiden Regionen«, schrieb eine Zeitung in New Orleans kurz vor Kriegsausbruch, »sind diskrepant und oftmals antagonistisch.« Der Süden war im Vergleich zum Norden eine Hochburg religiöser Orthodoxie. Deistische Strömungen aus der vorrevolutionären Zeit und der aufgeklärte Unitarismus aus der Gründerzeit hatten sich im Süden verloren und nach Neuengland verlagert. Die Bibel verteidigte die Sklaverei, ergo gab es einen guten Grund, die Heilige Schrift wörtlich und nicht metaphorisch auszulegen. Der Protestantismus im Süden war überwiegend konservativ ausgerichtet. Der Kalvinismus kam wieder zu Kräften. John Calhoun vertrat Calvins anthropologische Konzeption des caveat emptor. Die evangelikalen Sekten der Baptisten, Methodisten und Presbyterianer breiteten sich aus, während die Episkopalische Kirche für die Klasse der Southern Gentlemen reserviert blieb. Eine bedeutende neue Theologie entstand im Süden nicht, stattdessen erlebte der Puritanismus eine Art Wiedergeburt. Die fundamentalistischen Sekten in Mississippi und Alabama verteufelten nicht etwa die Sklaverei, sondern Kartenspielen und Tanzen. Die puritanische Jeremiade kam wieder zu Ehren, ebenso das calling zum Propheten. Die gebildete Schicht meinte, im Sinne des moral stewardship für das Schicksal der weißen Rasse verantwortlich zu sein. Und manche glaubten sogar, die Sklavengesellschaft könne wie John Winthrops city-upon-a-hill der ganzen Welt Modell stehen." Das öffentliche Erziehungssystem der Nordstaaten war eher utilitaristisch angelegt, im Süden lag der Akzent auf der Charakterbildung an Privatschulen. Die Klassiker wurden betont, die Naturwissenschaften vernachlässigt. In Virginia zeigten die wenigsten Counties Interesse daran, Steuern zur Errichtung öffentlicher Schulen zu erheben. Es gab keine Schulbuchautoren, Schulbücher mußten im Norden gekauft werden. Zwanzig Prozent der weißen Südstaatler waren Analphabeten. Im Mittleren Westen lag diese Quote bei drei Prozent, in Neuengland bei weniger als einem halben Prozent. An den Colleges studierten die klassenbewußten Söhne der Landaristokratie. Die Schulung der Elite wurde zum Nachteil eines öffentlichen Erziehungssystems betrieben. Nur bei den staatlichen Hochschulen war der Süden führend; die ersten Staatsuniversitäten wurden in Georgia, North Carolina und South Carolina gegründet. Ein episkopalischer Bischof plante eine die Region übergreifende »University of the South« als Gegengewicht zu den seiner Ansicht nach zu liberalen Universitäten im Norden. Dort sollte das System der Sklaverei verteidigt, die Studenten auf die traditionellen Ideale des Southern Gentleman eingeschworen werden, und zwar ohne Beteiligung von Yankeeprofessoren. Nordstaatliche Professoren sind in der Vorbürgerkriegszeit wegen ideologischer Gründe aus südstaatlichen Universitäten hinausgeworfen oder gar nicht erst berufen worden. Andere, wie Francis Lieber, haben der bildungs- und wissensfeindlichen Atmosphäre freiwillig den Rücken gekehrt. Von der Öffnung der Südwestregion für die Besiedlung blieben die Südstaaten nicht unberührt. Wie überall zog die geographische Mobilität die Auflösung von Familien und anderen sozialen Gruppierungen nach sich. Aufs Ganze gesehen war die Bevölkerung der südlichen Landesteile jedoch seßhafter, stabiler und stärker dem Status quo verpflichtet als die Bewohner des Nordostens und des Mittleren Westens. Selbstbewußte Südstaatler zählten zu ihren kulturellen Eigenheiten einen ausgeprägten Familiensinn, einen betont männlichen Ehrbegriff, die ritterliche Haltung gegenüber dem weiblichen Geschlecht, gute Manieren, Gastfreundschaft, galante Hilfsbereitschaft, Autoritätsbewußtsein und einen von der Etikette regulierten Umgang miteinander als Ausdruck vornehmer Lebensart. Ein Mann habe stolz und wagemutig zu sein, schrieb der Southern Literary Messenger, in der Schwäche, Hilflosigkeit und vertrauensvollen Hingabe der Frau liege die Krönung männlicher Triumphe und die Vollendung seiner Glückseligkeit. Südstaatliche Aristokraten, und nicht nur sie, schätzten ihre eigenen Tugenden höher ein als die gesellschaftlichen Ideale des Nordens, die ihrer Ansicht nach bestimmt waren von Materialismus, flegelhaftem Gleichheitsdenken, Selbsttäuschung und Flatterhaftigkeit. Im Süden hielt man es sich sogar zugute, das Essen nicht so hastig hinunterzuschlingen wie die Yankees. Setzt man die Akzente anders, so herrschte im Süden Cliquenwirtschaft, eine enge Heiratsordnung innerhalb der angesehenen Familien, eine ebenso sentimentale wie verlogene Glorifizierung der Frau und ein verbohrter Widerstand gegenüber neuen Ideen. Der innovationsfeindliche Südstaatler beäugte soziale Reformbewegungen mit Argwohn. Nicht nur der Abolitionismus war ihm verdächtig, auch Feminismus, Pazifismus, Utopismus und andere Bewegungen fanden im Süden weniger Anklang als im Norden. Von der beinahe permanenten Aufbruchsstimmung der Epoche wollte man sich nicht anstecken lassen, und so konnte leicht der Eindruck entstehen, der Süden hinke hinter allen gesellschaftlichen Entwicklungen einher. Die Fortschrittsidee der Yankees, urteilte nach dem Krieg Edward Pollard in The Lost Cause (1866), sei nichts anderes als die Jagd nach Selbstbeweihräucherung. Südstaatliche Autoren belegten die nordstaatliche Gesellschaft mit Attributen wie rastlos, unstet, chaotisch, revolutionär, exaltiert, aufgebläht, manisch, angeberisch, wetterwendisch, exhibitionistisch, nervös, spasmodisch, ungezügelt, familienfeindlich, geschichtslos. »Nichts ist festgelegt in der Religion, der Ethik oder in der Politik.« Und aus der Perspektive des Nordens war der Süden unbeweglich, fortschrittsfeindlich, rückständig, unfrei, unaufgeklärt und halbbarbarisch. »Der Norden prosperiert und der Süden nicht«, konstatierte die Chicago Tribune. »Der eine wächst und gedeiht durch einen Prozeß, den Freiheit und Zivilisation ständig beschleunigen. Der Süden fällt weit zurück durch einen Prozeß, den Unwissenheit und Sklaverei in Gang setzen. Wohlstand, Macht, Intelligenz, Religion und zivilisatorischer Fortschritt sind mit ersterem. Letzterer ist stationär und rückschrittlich.« Der Süden stellte Familiensinn, Heimatliebe und Traditionspflege über den Fortschritt. Die Beschwörung der Tradition diente zur Rechtfertigung der Sklaverei. »Das Volk dieses Staates«, verkündete das Parlament von South Carolina, »wird bei einem System bleiben, das von ihren Vorfahren auf sie gekommen ist und jetzt untrennbar mit ihrer sozialen und politischen Existenz verbunden ist.« Es ist möglich, daß dieser Standpunkt nicht nur die Verschleierung handfester wirtschaftlicher Interessen erleichterte, sondern daß der Süden an der archaischen Institution der Sklaverei deswegen so hartnäckig festhielt, weil er generell vor einschneidenden gesellschaftlichen Veränderungen zurückschreckte. Zumindest wurde das kulturelle Beharrungsvermögen als gesellschaftliche Norm propagiert. Ein echter Gentleman habe der Familientradition und der Familienpflege alle anderen Erwägungen unterzuordnen, forderte Daniel Hundley in einer Schrift über die Social Relations in Our Southern States (1860). Der Südstaatler wolle nach Art der Väter in Europa und in der Neuen Welt leben: »Der alte Landsitz, die vertrauten Stimmen alter Freunde, die treuen und wohlbekannten Gesichter der alten Dienstboten - all dies ist dem südstaatlichen Gentleman im Innern teurer als der kurzlebige Beifall einer Schar von Bewunderern oder die hohlen und unbefriedigenden Vergnügungen der Sinne ...« Sich unter dem eigenen Feigenbaum zurücklehnen können, schwärmte Hundley, bedeute wahres Glück. |